wenn ich Sie direkt frage, wie Ihre IT-Strategie und Ihre Roadmap für die nächsten zwei Jahre aussehen, könnten Sie mir diese auf Anhieb und visualisiert aushändigen? Oder ist das eine Frage, die Sie eigentlich nicht erwarten, weil sie in die Kategorie „das kann doch nur ein Berater fragen“ fällt?
Aber ist das wirklich so eine typische Berater-Frage oder nicht doch ein Anspruch, den Sie an sich selbst haben sollten? Wenn ein Mitarbeiter oder eine Fachabteilung auf Sie zukommt und mit Ihnen über die Einführung bzw. Aktualisierung eines IT-Systems sprechen möchte, wie sortieren Sie solche Anfragen in das Gesamtbild ein? Existiert so etwas wie ein IT-Zielbild in Ihrem Unternehmen?
Wie elegant und souverän wäre es, wenn Sie den Kollegen die Anfrage anhand eines IT-Zielbildes (in Form eines Visios, das gut sichtbar in Ihrem Büro hängt) im Gesamtzusammenhang darstellen und anhand der aktuellen Roadmap (hängt gleich daneben) auch auf der Zeitschiene einsortieren könnten?
Klingt zu schön, um wahr zu sein? Keine Zeit dafür? Nicht wichtig genug?
Ich sage Ihnen, dass dies absolut notwendig und mit endlichem Zeitaufwand realisierbar ist!
Ich arbeite gerne mit Bildern und deshalb erlaube ich mir, die Erarbeitung eines Zielbildes mittels des Beispiels eines Familienurlaubes darzustellen. Was haben die beiden gemeinsam? Nun, neben der ähnlichen Vorgehensweise bei der Erstellung bzw. Planung, führen auch beide zu einer gewissen Entspannung, wenn sie letztendlich stattfinden bzw. vorhanden sind. (Für das IT-Zielbild trifft das mit Sicherheit zu, für Ihren Familienurlaub kann ich hingegen nicht die Hand ins Feuer legen…)
Aber im Ernst – wenn Sie an die Planung Ihres nächsten Familienurlaubs denken, fallen Ihnen bestimmt mehrere Dinge ein, die Sie berücksichtigen möchten, richtig?
Also gehen wir mal davon aus, dass es sich um einen Familienurlaub handelt, Ihre Kinder im schulpflichtigen Alter sind und Sie mit der Planung beauftragt wurden. Hinweis: Ich werde hier bewusst Klischees bedienen, damit es plakativer wird.
Also, was brauchen Sie alles, damit Sie ein klares Bild vom Urlaub bekommen und Sie dieses Ihrer Familie „verkaufen“ können?
Es ist übrigens völlig legitim, wenn Sie sagen, dass Sie im Urlaub das Wohnmobil schnappen und einfach dorthin fahren, wo das Wetter am schönsten ist – ich bin mir sicher, dass eine ähnlich gelagerte IT-Strategie der Geschäftsführung gegenüber jedoch nur schwer vertretbar ist.
Ganz wichtig ist es also zunächst, abzuklären, was denn das IT-Ziel ist und ob es ggf. noch übergeordnete Unternehmens-Ziele gibt, die Einfluss auf diese IT-Ziele haben?! Ein guter Einstieg kann sein, sich das (hoffentlich) vorhandene Unternehmens-Leitbild nochmals anzuschauen und daraus das oder die IT-Ziele abzuleiten. Für den Familienurlaub ist das nicht ganz so einfach, aber im Regelfall haben Sie ja schon eine Vorstellung, wie der ideale Urlaub aussehen könnte. Die Details klären Sie einfach im Dialog, siehe Abschnitt „Ich will Kühe!“.
Hier die Liste (inkl. der Übersetzung in „Berater-Deutsch“):
Familienurlaub | IT-Zielbild |
---|---|
Was für eine Art Urlaub soll es denn werden? | Zielsetzung |
Ehefrau/-mann, Lebensgefährte/-in | Stakeholder |
Kinder | interne Kunden |
Was darf es kosten? | Budget |
Wer will was machen? | Anforderungen der Fachabteilungen |
Was muss alles mit? | Anforderungen der Fachabteilungen |
Wann soll der Urlaub stattfinden? | Roadmap |
Wie kommen wir dorthin? | Roadmap |
Wer bereitet was vor? | Programm- & Projektmanagement |
Hat jeder einen gültigen Reisepass? | Anforderung von Kunden/Behörden |
Sind die Reifen am Auto noch in Ordnung? | Patch- & Lifecycle-Management |
Was können wir vor Ort buchen? | Cloud-Strategie |
Ferienwohnung oder Hotel? | „make or buy“ Strategie |
Was machen wir auf keinen Fall mehr? | Lessons learned |
Reisebüro des Vertrauens | Trusted Advisor |
Damit haben wir abgesteckt, welche Informationen für das IT-Zielbild bzw. den Urlaub relevant sind. Sie sehen, das Bild ist stimmig. Wie geht es nun weiter? Nun, zunächst sollten Sie den aktuellen Stand der Situation erfassen. Beim Urlaub bezieht sich das auf die vorhandene Ausrüstung (Auto, Fährräder, Bobby-Cars, Smartphones, Tablets, Sportgeräte, Anzahl der Koffer und vieles mehr). Beim IT-Zielbild sind das alle vorhandenen Hardware-Assets, die betriebenen Dienste und Applikationen. Das lässt sich sehr gut anhand eines Schichten-Modells erfassen und gruppieren:
IT Schicht | Beispiel |
---|---|
Applikation | Office, Fachanwendungen |
Sicherheit | Privileged Access |
Datenbanken | SQL, Oracle |
Betriebssysteme | Windows/Linux |
Virtualisierung | HyperVisor |
Server | physikalische Server |
Storage | SAN/NAS |
Netzwerk | Switche, Firewalls |
Rechenzentrum | physischer Zugriff |
Idealerweise erfassen Sie diese Informationen zunächst in einer Tabelle, um Gruppierungen, Sortierungen und sonstige Auswertungen zu ermöglichen. Danach überführen Sie diese in eine graphische Form, welche sich besser zur Veranschaulichung und Diskussion eignet. Ich denke, für Ihre Urlaubsplanung können Sie den graphischen Teil auslassen, aber ich möchte Sie hier nicht einschränken.
Jetzt haben Sie schon mal die Übersicht über den Status Quo, aber reicht das aus? Wen haben Sie dazu befragt? Wenn Sie jetzt lediglich die Erhebung innerhalb der IT durchgeführt haben (also Stakeholder), dann haben Sie mit Sicherheit ein unvollständiges Bild! Sie müssen alle möglichen weiteren Stakeholder und internen Kunden mit an Bord holen. Idealerweise führen Sie mit jedem dieser ein intensives Interview inklusive einer Agilitäts-Index-Analyse durch. Dadurch erhalten Sie auch einen (zugegebenermaßen subjektiven) Eindruck der Gesamtsituation und vor allem erfahren Sie, welche Dienste außerhalb Ihres Erfassungsbereiches noch genutzt werden. Und das kommt tatsächlich vor, sei es die WhatsApp-Gruppe einiger Mitarbeiter, dieser kleine Clouddienst zur Personalakquise oder aber Endgeräte, die im Zuge eines Projektes an der IT vorbei gekauft wurden. Jetzt ist die Gelegenheit, diese Dinge zu erfassen und als Anforderungen in Ihr IT-Zielbild einfließen zu lassen. Sehr häufig ist es auch der Fall, dass im Zuge dieser Interviews Defizite in Bezug auf Kommunikation (in beide Richtungen) festgestellt werden. Vielleicht gibt es ja sogar Dienste innerhalb der bestehenden IT, die einfach nicht bekannt sind? Tue Gutes und sprich darüber! Ich denke die Analogie zur Urlaubsplanung ist hier mehr als deutlich, oder? „Ich will Kühe“ ist hier der Klassiker, interessant wird es allerdings, wenn die Kuh schon im Garten steht. Das Stichwort ist hier Schatten-IT – im Englischen Shadow IT, gerne auch ShIT abgekürzt.
Mit diesen ganzen Informationen geht es jetzt an die eigentliche Definition des IT-Zielbildes bzw. der Gestaltung des Urlaubes. Logischerweise können Sie nicht alle Anforderungen auf einmal unter einen Hut bekommen, aber Sie können anhand der Informationen die Anforderungen priorisieren, Abhängigkeiten feststellen und ggf. Synergien identifizieren. Hierzu ist viel Know-how notwendig und es erfordert teilweise sehr hohes Detailwissen in den einzelnen Diensten. Es ist absolut legitim bzw. sogar zu empfehlen, sich hierfür Hilfe zu holen. Für den Familienurlaub gilt ja auch, dass sich (im Regelfall) Skifahren und Wellenreiten nicht gleichzeitig abdecken lassen (Priorisierung). Skifahren geht auch nur, wenn Schnee liegt (Abhängigkeiten) und manchmal finden sich Synergien (Sonnenbaden geht auch auf dem Gletscher). Idealerweise haben Sie ein Reisebüro des Vertrauens (Trusted Advisor), mit dem Sie über Ihre Pläne sprechen und der Sie auf mögliche Abhängigkeiten hinweist.
So, wie es für das Beladen eines Autos ganz naheliegende Grundsätze gibt (schwere Dinge nach unten, Getränke und Regenjacke in Griffweite etc.), müssen zunächst auch für die Gestaltung des Zielbildes Designprinzipien festgelegt werden. Diese sind genauso individuell wie Ihr Unternehmen, deshalb müssen sie auch individuell erarbeitet, festgelegt und stringent angewandt werden.
Sehr eng zu diesem Thema gehören die einzelnen Strategien, die (falls schon vorhanden) natürlich Auswirkung auf das Design bzw. die Roadmap haben. Anderenfalls müssen Sie das Erstellen dieser Strategien jetzt mitberücksichtigen, denn ohne klare Strategien in Bezug auf Patchmanagement, Versionen (OS und Applikationen) und mögliche Clouddienste kann kein valides Gesamtbild erzeugt werden.
Auch wenn das hier den Eindruck erweckt, der kürzeste Abschnitt zu sein, so ist genau das Gegenteil der Fall. Die Entwicklung des IT-Zielbildes erfordert einen hohen Aufwand und wird im Wesentlichen durch diese vier Punkte abgedeckt:
Folgende Analogien zum Familienurlaub finden wir:
Ein wesentlicher, abschließender Punkt in der Erstellung des IT-Zielbildes sind die ganz konkreten nächsten Schritte und Maßnahmen. Dadurch wird das Ganze auch greifbar und rückt in den Fokus. Dazu gehört zum Beispiel die Anpassung des Programm- und Projektmanagements, falls schon vorhanden, ansonsten die Etablierung derer!
So, jetzt haben Sie also eine schicke Roadmap bzw. einen ganz klaren Urlaubsplan mit Route, voraussichtlichen Mautgebühren, fast schon gepackten Koffern, einem Ladeplan für das Auto und das Hotel haben Sie auch schon angefragt.
Jetzt kommt der Punkt Budget ins Spiel – im Regelfall haben Sie beruflich wie privat mit dem knappen Gut „Budget“ klar zu kommen. Wenn also das IT-Zielbild samt Roadmap vorhanden ist, können Sie sehr einfach ein Preisschild dranmachen. Dabei kommt auch die Frage nach dem „make or buy“ auf, die natürlich Auswirkung auf das Gesamtbudget hat. Aber mit der entsprechenden Kalkulation gibt es hoffentlich grünes Licht für die Umsetzung des IT-Zielbildes.
Entsprechend beschließt der Familienrat schlussendlich die Buchung des Urlaubs und es kann endlich losgehen.
Wenn das Budget freigegeben ist und der Plan in die Realität umgesetzt werden soll, geht es an die konkrete Umsetzung der im IT-Zielbild festgelegten nächsten Schritte und Maßnahmen. Damit kommt das IT-Zielbild auch sofort in der Realität an und ist greifbar. Eben genau wie beim Urlaub, wo das Hotel gebucht wird, die Koffer aus dem Keller geholt werden und jeder seine Aufgaben bekommt, um einen möglichst reibungslosen Start in den wohlverdienten Urlaub zu ermöglichen.
Das IT-Zielbild ist natürlich ein dynamisches Gefüge, das im Laufe der Zeit immer wieder an die aktuellen Gegebenheiten und Anforderungen angepasst werden muss. Aufgrund Ihrer Vorarbeit können Sie diesen Veränderungen jedoch elegant mit Hilfe der Designprinzipien begegnen und in das Gesamtbild einfügen. Es ist immer einfacher einzelne Bausteine zu ändern, wenn die Gesamtkonstruktion schon klar ist. Damit haben Sie es auch argumentativ einfacher, falls etwas gerade hip ist, aber nicht oder noch nicht in die Roadmap passt.
Das ist wie auf der Fahrt in den Urlaub: Sie können einen Abstecher nach links oder rechts machen, aber es ist jedem Teenager an Bord klar, dass im Sommerurlaub an der Adria kein Iglu gebaut werden kann. Für den Winter hingegen ist schon etwas geplant.
Ok, ein etwas holpriger Versuch, das Thema Cloud nochmal kurz in den Vordergrund zu bekommen. Gerade der Mittelstand in Deutschland hat viele Fragen rund um das Thema Cloud. Ich will jetzt nicht sagen, dass Sie das Wetter so annehmen müssen, wie es ist. Wolken sind einfach da, aber Sie müssen sie nicht mögen. Für den Fall, dass Sie auch gerade mit dem Wetter hadern, ist die Erstellung eines IT-Zielbildes mit einer daraus abgeleiteten Cloud-Strategie Gold wert!
Dies gilt auch für den Urlaub: Wenn Sie sich vorher bereits darüber im Klaren sind, welche Schlechtwetteroptionen es gibt, können Sie diese vorbereiten. So wissen im Fall der Fälle alle, wie Sie damit umgehen sollen.
Ich möchte die Gelegenheit noch nutzen, um über ein paar Erfahrungen aus den bisherigen IT-Zielbildern zu berichten. Interessanterweise konnten wir häufig beobachten, dass sich die ursprüngliche Perspektive, an der sich das IT-Zielbild ausrichtet, komplett ändert. Und das ist gut so, denn nur so werden Sie auch den wesentlichen Anforderungen gerecht.
Neben der rein technischen Sicht des IT-Zielbildes betrachten wir auch immer die organisatorischen und anderen Parameter für ein gelungenes Miteinander innerhalb und mit der IT. Dazu gehören Prozess-Optimierungen, Änderungen in der Organisationsstruktur und die Einführung eines kulturellen Wandels hin zum bimodalen IT Betriebsmodell.
Ich hoffe, dieser Artikel hat Sie dazu ermutigt, ein IT-Zielbild für sich und Ihr Unternehmen zu erstellen. Sollten Sie sich noch unsicher fühlen hinsichtlich der Herangehensweise, unterstützen wir Sie selbstverständlich sehr gerne!
Sie fragen sich vielleicht, ob AppSphere nun auch in Pauschalreisen macht? Selbstverständlich nicht. Aber wir gehen gerne mit Ihnen gemeinsam auf die Reise in Richtung Ihres eigenen IT-Zielbildes. Eventuell tatsächlich als Pauschalangebot – fragen Sie doch einfach mal nach!
Stephen Kunstmann
Division Manager Transformation Consulting
Als Division Manager Transformation Consulting und Certified Scrum Master betreut Stephen Kunstmann Unternehmen beim Schritt in die Digitalisierung. Sein Schwerpunkt liegt hierbei auf agilen Arbeitsmethoden, wie Radical Management, Scrum und Kanban. Zusätzlich gehören Azure IaaS und Virtualisierung zu seinen Fachgebieten.
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